Dienstag, 12. Mai 2015

Carlos Santana – Der Klang der Welt (2015)

"Der Klang der Welt" – im Original "The Universal Tone" – so heißt die Autobiographie von Carlos Santana. Gemeint ist das Om, der Urklang, aus dem nach hinduistischem Glauben das Universum entstand und der alle Wesen durchdringt. Man meint bisweilen, dass Carlos solche verzaubernden Töne auch seinem Instrument entlocken kann. Und so ist nicht verwunderlich, dass das Om-Symbol den Kopf seiner Paul-Reed-Smith-Gitarre ziert. Und dass der Titel seines Buches sich darauf bezieht. Denn Carlos fand 1972 zu fernöstlicher Spiritualität und Meditation und folgte viele Jahre lang einem indischen Guru. Jenem geistigen Weg blieb er bis heute treu.


Dieses wunderbare Buch mit 528 Seiten erzählt nicht allein vom Musiker, sondern vom Menschen Carlos Santana. Selbstredend nehmen seine Familie und seine spirituelle Entwicklung breiten Raum darin ein. Doch hauptsächlich geht es natürlich um Musik, um den Gitarristen Carlos, um die Band Santana, um Erlebnisse, Begegnungen, Freundschaften und Einflüsse, um Songs, Alben, Konzerte, Plattenfirmen und das Musikgeschäft.

Sehr langsam und weitgehend chronologisch entwickelt sich die Geschichte. Sie wächst und entfaltet sich fast wie eine Blume. Erstaunlich, an wie viele Einzelheiten seiner Kindheit Carlos sich erinnern kann und wie er sie vor uns ausbreitet. Auf Seite 63 kommt der zehn- oder elfjährige Carlos erstmals mit einem Instrument in Kontakt, mit seiner ungeliebten Violine. Und dann bewegt sich seine Karriere in unzähligen winzigen Schritten voran. Menschen kommen und gehen. Manche bleiben und wir können fast hautnah miterleben, wie er für seine Musik und mit ihr lebt und wie sich allmählich passende Musiker um ihn scharen, die als Santana Blues Band und dann weltweit als Santana Furore machen werden.

Erst auf Seite 219 landet Santana in Woodstock. Es ist 1969 und das Debütalbum erscheint demnächst. Auf Seite 297 wendet Santana sich dem Album "Caravanserai" zu. Es ist 1972. Die internationale Karriere währt zu dem Zeitpunkt gerade mal drei Jahre und wir befinden uns bereits in der zweiten Hälfte des Buches.

So gemächlich geht es folglich nicht weiter. Etwa ab Mitte der Siebzigerjahre zieht das Erzähltempo dann auch deutlich an. Schade eigentlich, denn die vielen Details gefallen mir wirklich gut – vor allem, sofern sie die Musik betreffen. Interessant ist beispielsweise, dass es zu "Samba Pa Ti" auch einen Text gibt (in Auszügen nachzulesen auf Seite 244), den Carlos immer im Sinn hat, wenn er das Lied spielt. Besonders berührend ist für mich freilich die schmerzhafte Trennung von seiner ersten Frau Deborah nach 34 Ehejahren und das tiefe Glück, welches aus der Asche entsteht, als er Cindy begegnet, die seine zweite Frau wird.

Nicht jeder Musiker, der in all den Jahrzehnten bei Santana gespielt hat, wird im Buch genannt. Das ist nachvollziehbar. Etwas befremdlich finde ich jedoch, dass Raul Rekow, der Carlos von 1976 bis 2013 mit Abstand am längsten von allen Musikern in der Band begleitet hat, nur dreimal am Rande erwähnt wird, außerdem auf einem Foto auftaucht. Dafür widmet Carlos sich ausgiebig den Charakteren, die ihm nahe standen und stehen wie Bill Graham, Michael Carabello, Gregg Rolie, Michael Shrieve, Armando Peraza, Wayne Shorter, Miles Davis, John Lee Hooker, Clive Davis und vielen mehr.

Carlos hat das Buch nicht selbst geschrieben. Dafür waren seine Weggefährten Hal Miller, der die vielen Erinnerungen aufnahm und ordnete, sowie Ashley Kahn, der sie gefühlvoll und leichtfüßig zu Papier brachte, zuständig. Sie haben ihren Job richtig gut gemacht. Heraus kam ein Buch voller Seele und Musik, welches ich mit großer Freude gelesen habe und jedem Fan sowie jedem Musikfreund wärmstens empfehlen kann.