Sonntag, 1. Januar 2017

Santana – Santana IV (2016)

Warum heißt dieses Album “Santana IV”, wenn es nach meiner persönlichen Zählweise bereits das vierundvierzigste und nach offizieller Zählung ungefähr das werweißwievielte ist? Nun, nach Jahrzehnten hat sich die alte Santana-Formation wieder zusammengefunden, die nach dem dritten Album “Santana III” 1971 im Knatsch auseinander gegangen ist. Das sind Carlos Santana (Gitarre, Gesang), Gregg Rolie (Hammondorgel, Keyboards, Gesang), Michael Shrieve (Schlagzeug), Michael Carabello (Congas, Percussion, Gesang) und Neal Schon (Gitarre, Gesang). Also trägt ihr Folgealbum ungeachtet der zwischenzeitlich verflossenen Jahrzehnte die Nummer Vier. Hier spielt allerdings nicht ganz die damalige Besetzung. Bassist David Brown starb am 4. September 2000 nach langer Krankheit an Leber- und Nierenversagen – Spätfolgen seines exzessiven Drogenkonsums. Timbalero José “Chepito” Areas fehlt aus mir nicht bekannten Gründen. Die beiden werden ersetzt durch die aktuellen und mittlerweile auch schon langjährigen Santana-Mitglieder Benny Rietveld (Bass) und Karl Perazzo (Timbales, Percussion, Gesang). Hinzu kommt bei zwei Songs Ronald Isley (Gesang) von den Isley Brothers.


Über das Zerbrechen der Band 1971 erzählt Carlos Santana in seiner Biografie (S. 297 f): “Ich spürte, dass es schmerzliche Reibereien zwischen einigen Mitgliedern gab, und ich bin sicher, die anderen spürten es ebenfalls. Was dann geschah, musste geschehen. Wenn etwas vorbei ist, dann ist es vorbei. (…) Anfangs hatten wir einander unterstützt, dann hatten wir einander toleriert und schließlich waren wir zwei Bands in einer gewesen, mit musikalischen und philosophischen Konflikten. Auf der einen Seite standen Gregg und Neal, die mehr Rocktitel spielen wollten, und auf der anderen Seite Shrieve und ich. Chepito ging immer seinen eigenen Weg – er widmete sich seinen eigenen Zerstreuungen und kümmerte sich nie wirklich darum, was die Band tat oder wohin sie ging. Er schrieb Songs, und sein Sound wird immer ein wichtiger Teil der Band sein. Doch bei allen Veränderungen, die es bei Santana gab, schien er immer auf der Spielerbank zu sitzen. Er nahm nie richtig am Spiel teil.”

Neal Schon und Gregg Rolie gründen die sehr erfolgreiche Rockband Journey. “Shrieve und ich glichen eher Gärtnern, die wollten, dass unsere Musik sich ein bisschen entspannte und von selbst wuchs. Wir hörten Jazz und dachten über Jazz und Rhythmen nach” (Carlos Santana, S. 298). Daraus entwickeln sich die wunderbaren Alben “Caravanserai” (1972), “Welcome” (1973) und “Borboletta” (1974). Aber das ist eine andere Geschichte. Darüber verlieren die Musiker sich jedoch nie aus den Augen. Zuletzt touren Santana und Journey sogar gemeinsam durch die USA getourt. Und so kommt es zu diesem neuen Projekt "Santana IV".

“Yambu” führt uns gleich zu den afrikanischen Wurzeln der Musik. Beim rockigen “Shake It” schimmert der Journey-Einfluss durch. “Anywhere You Want To Go” lässt mich endlich an die alte Santana-Band denken. Wobei der Sound natürlich nicht derselbe sein kann, weil beispielsweise Carlos Santana andere Gitarren und Verstärker verwendet und insgesamt einen anderen Sound schätzt als seinerzeit. Mit Blick auf Gregg Rolie lässt sich hingegen erfreut feststellen: Hammond B3 bleibt Hammond B3. “Santana IV” hat mit “Santana III” auch gemeinsam, dass Neal Schons Gitarre überwiegend aus dem linken und Carlos’ Gitarre aus dem rechten Lautsprecher kommt.

“Fillmore East”, der längste Titel, blendet ein und schwebt luftig und filigran vor sich hin – etwa im Stil der ausgedehnten Jams, die Santana in ihrer Frühzeit – noch vor Woodstock und dem ersten Album – in Bill Grahams Fillmore Auditorium hingelegt haben – ein großartiger Song. Wobei das Fillmore East freilich nicht wie das Fillmore Auditorium und das spätere Fillmore West in San Francisco, sondern in New York beheimatet war. “Love Makes The World Go Round” ist wieder eine Rocknummer mit viel Percussion und der Stimme von Ronald Isley. Ebenso “Freedom In Your Mind”, welches in der zweiten Hälfte durch feurige Soli von Gregg Rolie, Neal Schon und Carlos Santana gewürzt wird. “Choo Choo/All Aboard” schlägt vom Rhythmus her in der Nähe von “Jingo” seine Zelte auf. Das verträumte und ergreifende “Sueños” (Träume), eingangs mit akustischer Gitarre gespielt, lässt mich an ”En Aranjuez Con Tu Amor” vom Album ”Santana Brothers” denken. Es nimmt zwischendurch orchestrale Züge an, bis zum Ende hin Gregg Rolies Klavier beinahe zärtlich erklingt.

Mit “Caminando” wird es wieder rockig. So hat Santana sich zuletzt oft angehört. “Blues Magic” ist, wie der Name verrät, ein Blues, sehr intensiv und für mich mit einem Hauch von Peter Greens “Black Magic Woman” beseelt. Selbst der Gesang erinnert an Peter Green. “Echizo” ist ein weiteres Beispiel für Songs, wie ich sie auf diesem Album erhofft habe. Da scheint der alte Santana-Geist aufzuerstehen. “Leave Me Alone” schlägt in dieselbe Kerbe. “You And I” ist zunächst langsam, nimmt in der Mitte aber Tempo auf und bleibt durchgängig gefühlvoll. “Come As You Are” spielt mit fröhlichen Soca-Elementen aus der Karibik. “Forgiveness” irrt melancholisch und ein wenig konturlos umher, wiederum mit Jam-Charakter, aber viel düsterer als “Fillmore East”.

Dass “Santana IV” nahtlos an “Santana III” anknüpft, war angesichts der langen Pause und der individuellen Wege dieser Musiker nicht unbedingt zu erwarten, ist bis zu einem gewissen Grad aber überraschend gut gelungen. Herausgekommen ist ein sehr schönes und frisches Album, das vielleicht nicht alle, doch viele Wünsche erfüllt und einige echte Leckerbissen bietet. Ich bin sehr erfreut, dass die alten Freunde auf Anregung und unter dem Drängen von Neal Schon wieder gemeinsam ins Studio gegangen sind und solch harmonische Musik geschaffen haben. Ein ähnliches Projekt – allerdings ohne Carlos – hat es übrigens 1997 mit “Abraxas Pool” bereits gegeben.


Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das Cover mit dem Löwenkopf und der Figur in der Mitte (von der Nase des Löwen aufwärts) die Grafik des Santana-Debütalbums von Lee Conklin (1969) aufgreift, in dem sich neben einer Gestalt sieben weitere Köpfe verstecken. Bei “Santana IV“ freilich stellt die Figur einen Engel dar …

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